Dies ist eine versteckte Seite….
zum freiwillig lesen quasi.

(ich freue mich auch über Kommentare und eure Gedanken hier!)

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28. Januar 2016
Vor ein paar Tagen fing es an.
„Letztes Jahr um diese Zeit…“
Als ich Julius Faschingskostüm gebastelt habe, waren wir da nicht schon im Krankenhaus?
Ja, waren wir.
Aber genau heute, letztes Jahr um diese Zeit, da war noch alles gut.
Alles normal.
Wir sind im Dezember schon im Wald rodeln gewesen, hatten wundervolle, friedliche, gesunde Weihnachtsferien und haben den Schreck von Nils merkwürdiger Allergie Anfang Januar fast vergessen. Wir lachen über sein Gesicht, als er nicht richtig trinken kann, weil seine Lippen so geschwollen sind.
Er steht an der Musikbox und wirft Markstücke rein, bis sie verstopft. Wir tanzen zu richtig lauter Musik. Essen Eis im Winter. Ziehen ihn verrückt schnell auf dem Plasikschlitten über die Pferdewiese. Er liest mir das Pixiebuch von Viktor und der Möwe vor.
Ich bin gestresst von zu viel Arbeit, irgendeiner kränkelt immer ein bisschen, alles wie immer im Winter.
Alles ganz normal.
Ich bin mir nicht sicher, ob es gut ist, ab jetzt regelmäßig an letztes Jahr um diese Zeit zu denken.
Da es aber ein Automatismus zu sein scheint, warum nicht.
Einfach reingehen in die Erinnerung.
Die Fotos ansehen, die kleinen Videos.
Es ist anstrengend, tut so weh und ich schwitze und weine beim Schreiben.
Aber ich will mich dazu zwingen.
Weil ich glaube, dass es nicht hilft,  sich nur in den Gedanken zu verlieren.
Ich habe Angst davor.
Letztes Jahr um diese Zeit war erst der Anfang.
Und es ist jetzt schon so schlimm.
Er fehlt uns so unendlich.

……………………………………………………..29. Januar

Roch es letztes Jahr um diese Zeit auch schon so nach Frühling?
haben wir die ersten kleinen grünen Spitzen bewundert?
Bestimmt.
Der Duft der milden Luft und die helleren Nachmittage sind so schön
und verursachen Übelkeit in mir.

Soll jetzt einfach ein neuer Frühling kommen?
Wie kann die Natur es wagen, einfach zu neuem Leben zu erwachen?
Wieso klappt das bei ihr?
Ich will, dass alles eingefroren bleibt.
Ich auch.

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30. Januar

Ich nenne es mal: Das Päckchen.
Könnte auch Trauer, Schmerz, Verlust oder Nils sagen.
Wobei –
Eigentlich nicht Nils.
Der sitzt oben auf dem Päckchen und lässt die Beine baumeln.

Das Päckchen also.

Es kann neben mir liegen.
Da kann ich es ansehen, streicheln, pflegen, behandeln, verzieren, sortieren oder neu verschnüren.
Ich kann es vor die Wand schmeissen, beschimpfen, treten und verprügeln.
Kann es anderen zeigen, es erklären, beschreiben
oder auch mal in die Schublade stecken
und für einen Moment einfach vergessen.

Das Päckchen kann aber auch in mir drin sein.
Mitten im Körper, im Herzen, in den Beinen, Armen, im Kopf.
Dort ist es nur Gefühl, nicht greifbar, drückt und schnürt die Luft ab.
Es hat dort seinen festen Platz.
Wird immer seinen Platz haben.
Kann Nils dort auch die Beine baumeln lassen?
Ist er dann näher bei mir?
In dem So-Wie-er-war schon. Irgendwie.
Als Erinnerung.
Er ist trotzdem so weit weg dort.
So tot.
Wahrscheinlich, weil er keinen Platz hat, zwischen Päckchen und Herzen.
Es ist zu eng dort.
Verlieren möchte ich es nicht, niemals, dieses sperrige Päckchen.
Weil es zu mir gehört und mich komplett macht.
Mein Loch füllt.
Es tut weh dort, aber ich ertrage den Schmerz.
Mal mehr mal weniger.

Ist ausser mir, also aussen von mir, auch noch Raum, der zu mir gehört?
Bin ich nicht nur Ich im Körper, sondern auch Ich um mich herum?
Habe ich einen freien Raum, um mein Päckchen neben mich zu legen,
wo es schweben und Nils drauf rumhüpfen kann?
Mit den Beinen so doll baumelt, dass es wackelt?
Heute ist das so.
Und er ist dort nicht tot.
Nur anders.
Klar ist es gelb, das Päckchen.
Es leuchtet im strömenden Regen.

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2. Februar

Letztes Jahr um diese Zeit gehörte ich zu den Müttern, die jammern,
über kurze Nächte, nicht durchschlafende Kinder und tiefe tiefe Augenringe.
War das anstrengend.
Jetzt kriege ich, ehrlich,
einen eiskalten Anflug von Abscheu, wenn mir aus irgendwelchen Kanälen
Augenringselfies entgegen strahlen. Oder leidend gucken.
Ich atme tief durch, erinnere mich an mein eigenes Ich von letztem Jahr
oder denke an meine Verfluchungen,
als mich die Katze neulich geweckt hat, mitten in der Nacht. Wie schlimm.
Aber eigentlich schreie ich:
Das ist nicht für immer. Das geht vorbei. Du Kuh.
Freu dich doch, dass dein Kind immer wieder aufwacht.
Mann! Es lebt. Es schläft gottseidank nicht für immer.
Da würdest du aber Ringe kriegen,
wenn es dich plötzlich für immer schlafen lässt.
Es hält dich wach, na und?
Die paar Jahre.
Scheiss drauf.

(ich entschuldige mich bei allen Babymüttern, ich weiss doch wie das ist.
Alles eine Frage des Blickwinkels. Aber hier ist die geheime Seite, 
hier lesen nur solche, die mit dem Fiesesten meiner Seele klarkommen.
Es geht übrigens noch fieser. Und Ja: Ich tue mir auch sehr leid. 
Aber genau in einer Minute nicht mehr. Weil das nichts hilft. )

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7. Februar

Verkehrserziehung.

Gestern Abend. Julius weint.

„Ich habe solche Angst, dass ihr auch sterbt. Das kann ja einfach passieren.
Vielleicht schon gleich, oder morgen. Ich weiss es ja nicht.
Ich habe so grosse Angst.“

(…)

„Stell dir vor, deine Angst ist die Bremse.
In einem Auto. Das Auto ist unser Leben.
Wenn wir die ganze Zeit auf die Bremse treten, können wir dann fahren?“

„Nö.“

„Wir können nicht alles sehen, was kommt. Wir haben zwar einen Plan,
aber in echt sehen können wir es nicht. Nur ein kleines Stück weit.
Was hinter der Kurve kommt, wissen wir nicht.
Aber deshalb bremsen?
Wir müssen feste aufs Gaspedal treten, damit wir weiter fahren können.“

„So wie wir den schiefen Turm Pisa nur von Bildern kennen und uns nicht vorstellen können, wie er wirklich aussieht?“

„Genau. Wenn wir jetzt Angst vor der Reise haben, würden wir ihn nie sehen.“

„Stimmt. Haben wir auch so ein Dings, mit dem man zurück gucken kann?“

„Einen Rückspiegel? Klar. Ab und zu blicken wir zurück.
Das sind unsere Erinnerungen.
Das, was vergangen ist.
Darf man aber nicht zu lange machen, also sich richtig umdrehen,
und ewig nach hinten blicken.
Sonst fährst du vorne gegen eine Strassenlaterne.“

Er lacht. (Puh!)

„Haben wir immer Vorfahrt?“

„Mmmh. Nein. Manchmal kommt was, dass wir vorlassen müssen.
Bremsen müssen wir dafür auch manchmal. Gehört zur Fahrt dazu.
Aber dann geben wir wieder Gas.
Und jetzt lässt du die Bremse los und schläfst ein.
Es wird schön hinter der Kurve.
Ganz sicher.“

„Ja. Mach ich. Gute Nacht.“

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9. Februar

Letztes Jahr um diese Zeit war der Neunte Februar ein Montag.
Es war der Tag, als mir ein Arzt im Krankenhaus sagte,
er müsse uns ins Virchowklinikum verlegen,
dem Blutbild nach hätte Nils eine Leukämie.
Er würde mit solchen Diagnosen ja nicht scherzen,
meinte ich.
Nachdem ich nach Luft geschnappt hatte.
Nein, der Krankenwagen wäre schon bestellt, ginge sofort los,
es wäre ernst.
So sitze ich eine Weile später
mit meinem Sohn zum ersten Mal an einem Tisch auf der Kinder-Krebs-Station.
Nils bekommt davon nichts mit, er ist richtig richtig krank.
Wie ich bin, weiss ich nicht mehr.
Starr.
Der Oberarzt, der uns begrüsst, ist unglaublich nett.
Beschönigt nichts, ermutigt und beruhigt.
Erstmal gucken, was es ist.
Vieles ist heute machbar.
Es ist schön auf der Stadion, hell, aufgeräumt und freundlich.
Am Ende des Tages, heute vor einem Jahr
liegen wir zusammen in einem Krankenhausbett.
Nils ist verkabelt, bekommt nachts seine erste Bluttransfusion
und schläft und schläft und schläft.
Ich habe ein Bild von seinem leuchtenden Zeh,
mit dem der Puls kontrolliert wird.

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15. Februar

Letztes Jahr um diese Zeit wussten wir,
Nils hatte eine Leukämie und hat sie doch nicht mehr.
Hat sie ganz alleine erstmal aus seinem Knochenmark gefegt.
Ich habe unfassbar viel über Blut, dessen Aufbau, Leukämien und medizinische Behandlungen gelernt.
Wir haben uns aufgehoben gefühlt, auf dieser Station,
ernst genommen.
Professoren standen mit rauchenden Köpfen um meinen Sohn,
zwar gibt es das wohl, aber selten, meinten sie.
Wiederkommen wird es, zu soundsoviel Prozent.
Wo es das gab, kam es auch zurück.

Warum, woher, wann wieder, uns war das egal.
So langsam, letztes Jahr um diese Zeit, erholte er sich nämlich
von seinem Mega-Infekt.
Sprach wieder, aß wieder.
Und entdeckte den Tischkicker.
Als Stütze und Ansporn aufzustehen.
Er war so tapfer, so stark.
Und wir erst.
Wir wussten, wir haben mehr Kraft, als wir uns je hätten vorstellen können.
Für jetzt und für alles was kommt.

(Ich weiss, es hört sich komisch an, 
aber ich empfinde diese Erinnerungen zur Zeit nicht als sehr schmerzhaft. 
Sie entspringen meinem Drang zur Dokumentation. 
Ich kann mich Tag für Tag zurück denken. In kleinen Dosierungen. 
Nüchtern und knapp. Ohne Mühe.)

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16. Februar

Hohlnis.
Ist er mir nah oder weit weg, wenn es so still ist, in mir drin?
Wenn man sich fühlt, wie versteinert, sich erinnern kann
und den Schmerz nicht mehr fühlt, an den man so gewöhnt ist.
Ist das nun Fortschritt oder Ruhe vor einem schlimmen Sturm?
Werde ich kalt.
Denke im Minimum.
Merkwürdiges Stadium.
Vielleicht so ne Art Ebbe.
Ich habe keine Angst vor der nächsten Flut.
Das ist wohl Fortschritt.

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1. März

Der Geburtstagsmonat.

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3.März

Vielleicht ist die erste Phase des Trauerns die Beste.
Man ist wie frisch auseinander gerissen, alles liegt frei.
Fühlt jeden Hauch und ist so verbunden mit der Welt der Toten.
Als wäre da nur ein leichter Vorhang zwischen unserer Welt und der anderen.
Es ist sicher, dass es sie gibt.
Ständig pustet die andere Welt durch uns durch, erschüttert und tut weh.
Und tut gut.
Aber wir gewöhnen uns an den Vorhang.
Blöd, dass der Mensch so gebaut ist, dass er abstumpft.
Genau, wie man das Waschpulver nicht mehr riecht, an der frischen Wäsche.
Erst, wenn man die Marke wechselt.
Dinge nicht mehr sieht, weil man schon tausendmal vorbeigefahren ist.
Nach einer Zeit merkt man nichts mehr.
Auf seiner Seite vom Vorhang lebt man, die andere ist tot.
Nils ist tot.
Der Satz erschreckt mich heute fast mehr, als vor acht Monaten.
Weil er so endgültig ist, und ich mich ärgere, dass der Vorhang nicht mehr zaubert.
(die täglich ziehenden Graugänse können da auch nicht mehr viel reissen)
(genauso wie dieses penetrante Rotkehlchen)
(oder die kitschigen Sonnenuntergänge)
Könnte ja froh sein, dass es wieder geschützt ist,
zugfrei, abgeschlossen, sicher.
Ist ja auch ganz praktisch, lebt sich leichter.
Würde man jedenfalls denken.
Ist aber nicht so.
Echt gar nicht.

P.S.: War nicht so gemeint, Rotkehlchen, Graugänse, Himmel.

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4. März

So ungefähr letztes Jahr um die Zeit lud mir Nils „Fifty Shades of Grey“ in der Originalversion für schlappe 13,99 Euro auf mein Kindle.
(habe ich aber nicht gelesen, dafür reicht mein Englisch nicht aus…Haha)
Und-
offenbar hatte er sich auf meinem Handy auch mit Spotify beschäftigt…..
dieses Lied:

„beautyful rainbow“   …..aus den Album  Sun, Sun, Sun   The Elected

Ich habe nie vorher von der Band gehört.
Habe mir daraufhin das gesamte Album heruntergeladen und das Rainbow-Lied
kam auf die „Immergut-Liste“, die wir jeden Morgen im Krankenhaus
zum Frühstück gespielt haben.
Richtig laut. (ok, das ist später, letztes Jahr um diese Zeit, aber egal)
Er mochte allerdings keinen Regenbogen, meinte er immer.
Nur das Lied.
Und die Platte war meine Dauerschleife bis vor ein paar Wochen.

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11. März

Letztes Jahr um diese Zeit war die Zeit der Genesung.
Die Zeit, an die ich am liebsten denke und die am gegenwärtigsten ist.
Weil Nils da gesund ist.
Sich in einem wahnsinnigen Tempo erholt, wie eine siebenköpfige Raupe isst,
und wir all das mit einer Riesen-Dankbarkeit erleben.
Er ist Schwerter- und Waffenkönig. Ritter.
Wir kaufen die ersten Unterhosen,
weil er von einem Tag auf den anderen beschliesst, keine Windeln mehr zu tragen.
Einmal in der Woche Montags müssen wir in die Klinik zum Blut abnehmen.
Später alle zwei Wochen, dann nur noch alle drei.
Keinen Fingerpieks, er gibt immer einige Röhrchen ab.
Ob die immer noch in der Kühlung liegen?
Oder sind sie schon erforscht worden und haben irgendwelche Erkenntnisse gebracht?
Höchstwahrscheinlich liegen sie noch rum.
Nils fand das Pieksen schrecklich, ich war jedes mal nass geschwitzt,
weil er so weinen musste.
Aber immer war alles gut danach.
Und ich weiß, dass er auffiel, dort in der Tagesklinik.
Mutig, stark und voller Leben.
Streit hatten wir nur, weil er eigentlich lieber auf die Station zum Kickerspielen wollte.
Aber das ging ja nicht.
Diese Montage waren eine komische Sache.
Kurze Erinnerung an das, was war, und an das, was kommen wird.
Oder nicht kommen wird.
Zu der Zeit waren wir sicher, es kommt nichts mehr.
Und schüttelten uns nach den Montagen einfach die Sorgen aus dem Fell.
Im Keller stand schon sein Geburtstagsgeschenk,
ein eigener Tischkicker.

Ich bin so dankbar für diese Zeit.
Und diese merkwürdige Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Mal krank sein.
In der wir wirklich jeden Augenblick mit ihm bewusst erlebt und geliebt haben.

P.S.: Danke für euer geduldiges Lesen, eure Kommentare, die klugen Gedanken
und den Trost hier. Allerliebsten Dank. Ist verschroben, so ne Seite, passt also.

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22. März

Letztes Jahr an der Ostsee.
Und Nein, er war nicht allein auf dem Foto….
Mit meinem Schwager und Neffen auf Abenteuertour auf dem Feld.
Aber er rennt vorneweg.
Es war unsere Entscheidung, nicht, wie jedes Jahr, Ostern da zu verbringen.
Nie mehr dorthin zu fahren.
Den Ort mit seinen Erinnerungen so zu lassen, wie er ist.
Neue Erlebnisse legen sich ständig über die Vergangenen.
Immer gibt es ein „mit“ und ein „ohne“.
Letztes Jahr Ostern war sowas von mit.
Ohne wäre unvorstellbar.

Dieses Jahr sind wir in Italien.
Auch mit.
Irgendwie.

(mit Gruss an meine Geschwisterfamilien und Dank.)

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14. April

Lieber Nils!

Manchmal habe ich das Gefühl, ich verliere dich erst jetzt richtig.
Als würdest du dich immer weiter entfernen.
Den leeren Raum, den du hinterlassen hast,
den durchquere ich inzwischen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit.
Das ist so komisch.
Weil es leichter wird, aber gleichzeitig viel schlimmer.

Merke aber gerade in diesem Moment,
ich sollte öfter schreiben, dann setzt du dich ja quasi direkt neben mich auf den Tisch.
Und puhlst mit deinen kleinen Fingern in meinem Herz herum.
Mach ruhig ein Weilchen.
Das macht mich lebendiger und weicher.
Wenn ich jetzt gleichTschüss und Machsgut schreibe,
dann flieg ruhig wieder so weit wie du willst.
So hoch du kannst und so frei, wie nur ihr das könnt.
Danke, dass du da warst.
Ich liebe dich auch so sehr.

Tschüss, Machsgut!

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29. April

Ich drücke mich vor dem „letzten Jahr um diese Zeit“.
Hatte schon ein paar mal angefangen, aber irgendwie fällt es gerade schwer.
Egal, ich mag das Chronologische hier.
Jetztreissdichzusammenundlos.

Der April und der Mai also.
Der Frühling ist voller Familienfeste, wir fahren in den Süden, in den Westen,
bekommen Besuch,
volle Wochenenden mit vielen vielen Verwandten und Freunden.
Übernachtungen woanders, immer wieder verwunderte, bewundernde,
dankbare Blicke auf Nils,
der wie eine Sonne durch jede Gesellschaft strahlt und springt.
Der Blick zurück ist es, der so schmerzt,
denn heute wirkt es wie eine Abschiedstournee.
Die meisten haben ihn da zuletzt gesehen.
Gesund und vor Energie strotzend.
Er beschliesst zu der Zeit, Polomann zu werden.
Ich glaube, er fand, das sind echte, moderne Ritter.
Die zu allem Überfluss auch noch Ball spielen dürfen, beim Ritter sein.
Supercool.
Nils geht auch wieder zu seiner Tagesmutter.
Und zwar richtig richtig gern, weil da seine Freunde sind.

Er ist so gross geworden, letzten Frühling um diese Zeit.

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10. Mai

Warumwarumwarum.
IstdieBananedumm.

(Gehirnzustandsbeschreibung)

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13. Mai

Ich weine jeden Tag.
Die Tage, an denen ich nicht weine, könnte ich zählen,
tue ich aber nicht, weil man an solchen Tagen nix zählt.
Wenn ich früher geweint habe, konnte man das noch Stunden danach sehen.
So komische Flecken im Gesicht,
rote Nase, verquollene Augen.
Ich meine, man sah es echt noch Tage später.
Jetzt habe ich so eine Art Heul-Kondition bekommen.
Wie beim Laufen.
Da rennt man, falls man eine gute Kondition hat,
und der Puls ist im Nullkommanix wieder normal.
Das habe ich nicht.
Dafür kann ich einkaufen gehen, zwischen Gemüsetheke und Käsefach kurz weinen
und an der Kasse sieht man es schon nicht mehr.
Oder im Auto sitzen, eine Runde richtig doll schluchzen,
zur Schule fahren, Kind abholen
und niemandem würde einfallen, dass ich gerade geheult habe wie ein Schlosshund.
Der Körper hat sich offenbar dran gewöhnt.
Irgendwie verrückt.

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23. Mai

In den nächsten Tagen schliesse ich auch diese Seite, genauso,
wie drüben schon geschehen mit den ganzen Posts,
die zuviel Privates zeigen.
Haha, hatte nie Scheu,  diese Dinge zu zeigen und drüber zu schreiben.
Und habe es ja auch eigennützig getan.
Weil so unfassbar viel zurück kam.
Für eine Weile scheint es aber vernünftiger zu sein,
unterzutauchen.
Den Sinn hier zu erklären, geht leider nicht.
Aber ihr könnt ganz beruhigt sein,
nichts Dramatisches im Sinne von „EshatalleskeinenSinnmehr“….
eher so: In stürmische Zeiten sollte man die Segel lieber reinholen.

Nicht traurig sein.

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17. Juni

Gibt nix, was gerade dagegen spricht, hier mal wieder die Tür zu öffnen.
Sie zu schliessen, ist ja nur eine Sache von einem Klick.

Oder ist hin und her, Ja und Nein, mal so mal so blöd?
Inkonsequent?

Wichtig war, dass die Suchmaschine nicht tausend Geschichten, Fotos und Bilder ausspuckt, sobald man Nils Namen eingibt.
Das ist ja so einigermassen gelungen.

Mir fehlt das Schreiben hier.
Und ich denke oft, vor allem an die ganz Stillen.
Die mit in diesem beschissenen Boot sitzen.
Und an die, die so tapfer nebenher schwimmen.
Oder die, die vom Land aus winken und Mut machen.

Das Jahr ist bald um.
Letztes Jahr um diese Zeit?
Waren wir schon mitten in der Chemo.
Aber gerade zuhause.

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17. Juni, später

Ich schrieb drüben schon mal von der Realität.
Sätze, die vor einiger Zeit wie ein Echo im Kopf hallten.
Er ist tot.
Einfach tot.
Weg.
Richtig weg.
Da hilft kein Rilke mehr und kein gelber Zauber.
Da läuft man rum und alles ist so so so scheisse.
An diesen Tagen strecke ich kleinen Kindern die Zunge raus,
wenn sie mich anglotzen.
Natürlich, ohne dass die Mütter es sehen.
Ganz fies.
Als könnten die was dafür,
dass sie da sind und er weg.

Dann geht es wieder.
Aber auch nur, weil-
weiss nicht, warum.
Isso.
Is(einfachma)so.

(einer von Nils weisen, unsterblichen Sätzen)

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20. Juni

Ich bin nicht wütend darüber, was der Tod von Nils mit mir macht.
Ich komme klar.
Ich bin ja auch schon …ähm… reif.
Aber ich hasse hasse hasse es, was es mit meinen Kindern macht.
Die Ohnmacht, sie leiden zu sehen.
Ihre Schrecken, ihre Ängste, ihr jetzt schon angeknackstes Leben.
Ich bete, dass sie daraus Stärke ziehen.
Mutig werden. Wissen, dass man ALLES überwinden kann.
Überleben muss.
Und die Sonne immer wieder mal scheint.
Aber beeinflussen kann ich es nur bis zu einem gewissen Punkt.

Gäbe man mir jetzt einen Schuldigen für alles,
genau hier vor mir, von Angesicht zu Angesicht,
ich würde ganz doll reinhauen.
Und nachtreten.

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30. Juni

Wird es langsam Zeit für einen Bericht zur Lage?
Wie sich das so anfühlt,
wenn der Tag näher rückt,
den manche als Todestag bezeichnen?
Ich habe irgendwo Himmelsjubiläum gelesen,
das klingt netter.
Wir halten gerade sehr still.
Und ich habe überhaupt keine Lust zu denken.
Oder Erinnerungen zuzulassen.
Hatte ich ernsthaft erwägt,
dieses „letztes Jahr um diese Zeit“ durchzuziehen?
Undenkbar.

Wir dachten, dass alles gut wird.
Und haben Blaubeeren gesucht.
Blaubeerpfannekuchen gegessen.
Und das Auto im Garten saubergemacht.
Also, ich habe geputzt, Nils hat auf der Liege gelegen.
Oder in der Kirschbaumschaukel gesessen.
Viel gelesen und viiiiiiel Fernseher geguckt.
Oft mit dem Taxi in die Klinik hin und her gefahren.
Ein kleines Krankenhaus im Wohnzimmer gehabt.
Es war warm.
Und er war noch da.

Upps. Doch erinnert.

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1. Juli

Er war so perfekt.

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15. Juli

Es geht ganz gut, keine Sorge.
Nur –
Mehr nach innen.

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6. Oktober

Mitleid.
Hatte letztens mit meiner besondersten liebsten Freundin darüber gesprochen.

(die dreissig Zeilen hier zwischen, die ich gerade geschrieben habe, musste ich wieder löschen, zuviel Unsinn, zu kompliziert. Ich fasse es mal so zusammen:)

Mitleid ist scheisse, Mitgefühl gut.
Und Mitmut super.

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16. Januar 2017

Wie lange ich nicht mehr hier getrauert habe.

Nur nebenan gewutet.

Und jetzt hier Texte gelesen, die mir merkwürdig fremd sind. Hat sie ja schön geschrieben, die Frau, die arme. Ich denke, ich sollte sie mal anrufen. Dass sie mal wieder was Schönes schreibt. Damit sie keine Falten kriegt vor Groll.

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22. Februar

Gehts wieder? Nee, leider nicht. Bedaure, sagen zu müssen, dass es überhaupt nicht geht. Nicht wieder und  nicht noch und auch nicht besser. Es geht nicht.

Es bleibt. Und es wird- finde ich- schwerer, das zu erklären. Warum man empfindlich ist, warum man oft zickig ist. Dann wieder gut drauf, um im nächsten Augenblick in Tränen auszubrechen. Gerne allein. Lust zu nix. Wirklich nichts. Manche Menschen mag, andere nicht ertragen kann. Immer auf der Hut. Erinnerungen lauern hinter jeder Ecke. Oder man will sich an etwas zu erinnern und es ist einfach mal weg. Dieser Fotoordner, der plötzlich wieder funktioniert mit dem neu geladenen Betriebssystem. Fotos. Aus einer anderen Zeit. Die ich mir angucke, obwohl ich weiß, dass mir das echt nicht besonders gut tut.

IMG_9830.jpg

So ist das also. Jetzt. Und in ner halben Stunde wieder anders. Wenn ich das Skizzenbuch gefunden habe, in dem diese Zeichnung ist….Ohgott dieser Nagellack.

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28. Juni

Kurz vor Ende des zweiten Jahres ohne Nils.

Vorgestern ist Daisy gestorben, der Hund,
den er irgendwie immer am tollsten fand.
Ja, ich habe geheult, ganz doll.
Mehrere Taschentücher voll, während sie, den Kopf auf meinem Schoß, langsam wegdämmerte.
Da war der Gedanke, ihr jetzt noch ganz viele Botschaften mitgeben zu können, Grüsse ausrichten zu lassen, zu wissen, sie wird in Empfang genommen.
Die Vorstellung, dass er nun mit schwarzem Hund an der Seite ist, irgendwie.
Dieses schöne Bild.
Um Daisy weinte ich auch.
Aber ich wusste schon in dem Moment des Weinens, dass dieser Schmerz vergehen wird.
So wie bei unserer Setterhündin Kora, unserem Islandpferd Tobi, meiner Katze Nele, meinem Whippet Flinn und bei Karlsson.
Sie alle haben einen festen Platz in meinem Herzen, und wenn ich an sie denke, ist das so- Hach-mässig. Wehmütig, traurig auch.

Wenn ich in Trauer an Nils denke ist das anders.
Körperlicher Schmerz.
Wie verliebt sein, nur das Gegenteil davon.
Nicht wie Liebeskummer.
Eher wie nen Stein aus Eis verschluckt.
Unendliche Kälte.

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30. Juni

Lieber Amazon-Shop!

Ich habe ihren Heliumbehälter bestellt, wegen seiner dezenten Farbe. Er ist hier in hellgrau abgebildet.

Er soll am 5. Juli neben dem Grab meines dreijährigen Sohnes stehen, damit die Leute, die ihn zum 2. Todestag besuchen möchten, einen gelben Ballon mit Gas füllen und steigen lassen können.

Glauben sie ernsthaft, ich stelle diesen neonpinken Heliumbehälter dort hin?

Pink?

Könnte sein, dass sich mein Sohn im Grab umdreht vor Entsetzen?!

Nein, im Ernst.

Der Tag ist wichtig und nicht SO leicht für uns. Ich schicke ihnen das PinkDings zurück, meinen sie, sie schaffen es, mir noch einen Hellgrauen zu senden bis Dienstag?

Herzlichen Dank, Melanie Garanin

Edit: Wir haben die Ballons zuhause befüllt.

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16. August 2017

Wohin will meine Seele?

Hol sie zurück, lass sie nicht zu oft, zu weit nach oben schweben. Hier ist ihr Platz.

Es ist sehr kräftezehrend, sein Kind zu verlieren. Man braucht so viel Kraft. Und wird schrecklich müde. Deshalb bin ich hier auch eingeschlafen. Weggedämmert, gelassen.

Mal sehen, hab den Wecker auf Schlummern gestellt.

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13. September

Dankbarkeit,

wenn man am Computer einen Papierausdruck findet, den Lebenslauf des Ältesten, für eine Bewerbung, für einen Nebenjob. Und wenn dort folgendes steht:

Geschwister:   Nils, Julius und Greta Garanin

Ganz selbstverständlich aufgezählt. Ich weine nur, weil ich glücklich bin, dass meine Kinder gelernt haben, dass Gestorbene nicht weg sind. Die Tränen der Traurigkeit fließen mit, neben denen der Liebe für alle meine Kinder.

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11. November 2017

(Ich hatte diesen Text hier erst als Blogpost, einige hatten ihn vielleicht gesehen, bevor ich ihn wieder gelöscht habe. Irgendwie war ich mir dann plötzlich nicht mehr sicher. Ich stelle ihn hier rein. Hier passt er besser. )

ritternils.jpg

Einmal im Jahr lädt die Klinik zum Gedenktag der verstorbenen Kinder ihrer Kinderonkologie ein.

Es werden Texte vorgetragen, die Chefärztin sagt ein paar Worte , es wird gesungen, eine Geschichte erzählt und am Ende werden die Namen der Kinder verlesen. Es sind sehr sehr viele Namen, aus all den vergangenen Jahren. Die Eltern, Geschwister, Angehörige und Freunde gehen dann nach vorn und zünden eine Kerze an.

Ich war schon 2015 dort, vier Monate nach Nils Tod.

Ich habe damals nicht geweint. Als „Von guten Mächten wunderbar undsoweiter“ gesungen wurde, habe ich mir die Ohren zugehalten. Für Nils die Kerze angezündet und bin wieder abgehauen. Nicht so schlimm, wie Blutabnehmen ohne ZVK, habe ich damals zu ihm gesagt.

Letztes Jahr habe ich wieder fast nicht geweint. Für das „Von guten Mächten wunderbar undsoweiter“ hatte ich mir mein Handy mitgenommen, mit Kopfhörern. So konnte ich in der Zeit was anderes hören. Meine Wut war letztes Jahr riesig. Und die Ohnmacht. Alles. Ich bin schnell wieder abgehauen, nachdem ich die Kerze angezündet habe.

Heute habe ich viel zu viel geweint.

Weil da plötzlich Eltern waren, die ich noch kannte und deren Tochter Nils und ich so nett fanden. Weil mein Akku alle war und ich das „Von guten Mächten undsoweiter“ nicht auszublenden vermochte. Weil dieses Baby direkt vor meiner Nase mich permanent anglotzte und anstrahlte.

Ich bin diesmal sogar mit zum KaffeeKuchenGesprächskreis.

Da musste ich weinen, weil der Himmel so nah und schön war und man übers Klinikgelände gucken und auch hätte draufspucken können konnte.
Wegen der Geschichte des Mädchen mit dem Hirntumor, die nicht dachte, dass sie stirbt, weil sie ja noch all ihre wunderschönen Haare hatte.
Weil eine junge Ärztin sich zu uns setzte, die sowas von nett und mitmutig war.
Und irgendwie war ich nicht mehr so wütend. Vor allem müde.
Nils gehörte nicht zu denen, um deren Leben gekämpft wurde.

Die Ärzte, die da waren, kennen uns nicht wirklich.
Die, die uns kennen, waren nicht da.
Ich sehe sehr wohl ihre Trauer und Betroffenheit.

Leider sehe ich aber immer immer vor allem eins: Ihre Schuld.

Ich bin dem psychosozialen Dienst sehr dankbar, dass sie diesen Tag organisieren. Er ist so überwichtig.

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11. Januar 2018

„Passen dir eigentlich noch diese Wanderschuhe?“

„Neee, die sind zu klein geworden, die sind ja auch schon drei Jahre alt.“

„Zwei.“

„Drei.“

„Die sind zweieinhalb Jahre alt. Für Spanien haben wir die dir gekauft. “

„Stimmt. Aber dann sind sie vier Jahre alt. Oder eben dreieinhalb.“

„Nein. Du bist in Spanien gewesen, in dem Sommer, als Nils starb.“

„Hä? Nein! Da waren wir doch in Italien!“

„Doch, ehrlich. Weißt du nicht mehr? Wir hatten doch alles für euch geplant, weil wegen Nils Leukämie der gemeinsame Sommerurlaub ausfallen musste. Du solltest mit Lars ins Spaniencamp, Greta nach Paris und Julius zu Oma und Opa. Und dann ist er einfach gestorben. Wir haben euch entscheiden lassen, ob ihr fahren wollt oder nicht. Du bist ungefähr eine Woche nach der Beerdigung los. Greta und Julius auch. Italien war später, als ihr alle wieder da wart. Ganz spontan.“

„Nein. Weiß ich nicht mehr. “

„Hast du keine Erinnerung an eine Wanderung, einen See, einen Blick mit dem Gedanken: Nils ist tot?“

„Nein. Null.“

„Du hast es vergessen. Da wurde offenbar das Notstromsystem deines Körpers aktiviert. Deine Seele hat gut auf dich aufgepasst. Und Lars. Frag ihn mal. Der wird sich erinnern. Ich bin ihm dankbar, dass er für dich da war. Wahrscheinlich ähnlich unbewusst, einfach nur da war. (…) Dass du keinen Zusammenhang zwischen der Reise und Nils Tod hast. Ist….. Verrückt. Im wahrsten Sinne des Wortes.“

„Ja.“

„Eines Tages wirst du das vielleicht hochholen und gerade rücken (müssen). Aber dann schaffst du das bestimmt, bestimmt? Ganz sicher.“

„Jedenfalls passen mir die Schuhe nicht mehr. Ich brauche aber auch keine dort.“

Mir ist erst am nächsten Tag mulmig geworden, nach diesem heiter lockeren Gespräch letzte Woche während einer Hunderunde, um Organisatorisches, weil er ja demnächst für ein halbes Jahr nach Neuseeland reist. Denn er lebt natürlich wild und gefährlich, mein grosser Artur, und ich könnte nicht stolzer sein.

Bitte, lass die Kinder eines Tages stark aus dem Trauma erwachen.

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16. März

Gerade habe ich den letzten Eintrag gelesen…

Und hätte dazu einen Nachtrag:
Vor zweidrei Wochen hatte ich kurz über Messenger ein paar Sätze mit Arturs Gastmutter ausgetauscht.
Sie schrieb, was für ein lovely boy er sei.
Ich schrieb, I know it und sie solle ihm a big hug von mir geben.
Sie antwortete, sie hätte ihm vor ein paar Tagen ganz viele davon gegeben, als er ihr Fotos of his little brother Nils gezeigt hat.
(…)
Und ich dachte, was für ein großes Glück er hat, ausgerechnet in diese Familie gekommen zu sein, die vor Liebe und Wärme und Freundlichkeit strahlt und die ihn sein Herz öffnen lässt. Am anderen Ende der Welt.
Was für eine tolle Frau muss das sein.
Ich könnte nicht dankbarer sein.

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29. Mai 2018

Wieviel ich verloren habe.

Weiterleben geht, glücklich sein auch, aber wieviel wir verloren haben.

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18. August 2018

Einschulung. Alle feiern heute Einschulung. Wäre gewesen. Was er so gern wollte.

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29. September

Eine kurze Zusammenfassung der Zeit seit Beginn der Sommerferien könnte lauten:

Hohlnis deluxe.

Ich habe mit dem Urlaub komplett aufgehört zu zeichnen, und wenn ich komplett sage, meine ich- komplett. Einmal habe ich versucht, den Kirchturm in Marseille im Skizzenbuch festzuhalten. Reinfall.
Parallel habe ich aufgehört zu schreiben. Der Blog läuft durch die Aufwärmung der 100TieremeinesLebens ganz von alleine und Mails oder Briefe gibts so gut wie nicht mehr, ganz selten, sehr sporadisch.
Die Baustelle im Haus war gute Ablenkung und Entschuldigung für alles.
Ich habe gemerkt, dass, wenn ich meine künstlerische Arbeit mit KindernMannHaushaltAlltagTieren in die Waagschale lege… Letzteres immer gewichtiger ist.
Oh, wie mich das geärgert hat.
Oh, wie ich wünschte, ich könne mein „Werk“ immer vorne an stellen.
Lieber eine Doppelseite zeichnen, als die Wäsche in die Sonne zu hängen. Ich entscheide immer für die Wäsche.
Tja. Und das Dumme an diesem Ärgern ist, es macht n o c h unproduktiver.

Was ich schon lange überlegt hatte, habe ich jetzt getan.
Bin für eine Woche in ein Kloster gefahren, ganz allein, mit Vollverpflegung und „in Stille“. Muss hier nichts tun, ausser arbeiten. Habe mir Mediendetox verschrieben.
(Das hier gerade zählt nicht)
Ich habe meinen Zeichentisch dabei, all mein Material, meinen Rechner (zum Tippen…) und mein Kopfkissen.
Vom ersten frühen Morgen an zeichne ich. Ununterbrochen fast. Das ist toll. Toll Toll.
Was das mit dieser Pünktchenseite zu tun hat, die ja eigentlich Trauer zum Thema hat?
Abgesehen davon, dass ich mich scheue, solche Texte, wie den hier auf die Hauptseite zu stellen: Viel.
Denn ich betrachte mich wieder. Mich und meine Familie und meinen toten Sohn. Ich vermisse ihn so sehr. Ich weine um ihn. Aber ich zeichne zeichne zeichne ihn.
Sehe mir dafür Bilder, Videos, Fotos und Texte an. Und er lebt darin.

Die Hohlnis füllt sich. Das Gehirn bewegt sich. Es geht mir gut.

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16. Januar 2019

Ich halte viel aus.

Aber schwer wird es, wenn meine Kinder trauern. Nicht ein bisschen, sondern schlimm, lange, untröstlich. Wortlos und in ihren Grundfesten erschüttert.

Zu nichts in der Lage, nicht zu sprechen, nicht zu lösen und ohne Licht in Sicht.

Die den Alltag nicht mehr schaffen, andere Menschen, sogar FreundInnen meiden.

Wenn ich wieder beginne, nach Trauergruppen zu suchen, Ratgeber zu lesen und Lösungen zu erhoffen. Was tun, was tun. Oder einfach aushalten? Halten? Nur da sein? Das tue ich ja, das tue ich. Aber es ist nicht genug, ich sinke mit. Ich halte die Hand, wie in einem dramatischen Film, wo jemand abzustürzen droht. Und zwar fest, kein Zweifel, dass ich sie retten kann. Heute vielleicht, oder in den nächsten Tagen. Aber dann? Irgendwann in ein paar Jahren? Dann auch noch?

Drei Geschwister, drei Persönlichkeiten, dreimal dicke Klumpen in der Kinder-Jugend-Seele, die immer wieder grausam schwer werden. Viel zu schwer.

6. Juni

Sitze zum dritten Mal in meinem neuen Büro und höre- mangels Internet- ganz altmodisch Musik über Itunes. Meine meistgespieltesten Songs.

Und diesen Soundtrack von Wim Wenders Film „Pina Bausch“ habe ich mal rauf und runter gehört. Da war ich noch in meinem alten, kleinen Arbeitszimmer und habe mit der einen Hand gezeichnet, mit der anderen mal mehr mal weniger geduldig den Stubenwagen mit Nils drin geschuckelt.

Und dann das Lied aus dem Film Inglourious Bastards.

Ich sitze hier, höre die Musik und es ist nicht leicht zu beschreiben.
Bin dankbar, aus Material gebaut zu sein, dass sich anpassen kann. Das nicht erstarren muss. Biegsam bleibt.
(natürlich nur in übertragenem Sinne, hehe)
Mein Baby ist nicht mehr da, das Kind, dass aus ihm wurde, tot.
Die Lieder werfen mich zurück in diese Zeit und ich werde brüchig, es knackt und knirscht in der Erinnerung. Aber das Gefühl ist schön.
Und ich bin dankbar für das Früher.
Ok im Hier.
Jetzt gerade jedenfalls sehr.

 

31. Januar 2021

 

Du hast heute Nacht so aufgeschrien, gewimmert, aber ich hab dich nicht wachgekriegt.
Sagt Georg heute früh.
Und da erinnere ich mich an den Traum.
Ein Gebäude wie ein Turm, tausend Treppen, abertausend Räume, viele viele Menschen.
Und ich verliere Nils im Getümmel.
Eben war er noch da, mit richtigem Körper, Armen und Beinen, mit Stimme und Seele und dann ist er weg.
Ich renne hoch und runter, suche und rufe, frage jeden, aber er ist verschwunden.
Und im Traum habe ich die Gewissheit, ich werde ihn nie mehr finden.
Der Schmerz ist so echt, dass ich weine,
jetzt, wo ich daran denke,
dass der Traum zwar nur ein Traum, das Gefühl aber Wirklichkeit ist.

13.8.2021

Was das Leben aus mir für einen Menschen gemacht hat.
Jemanden, der hart ist, noch viel härter als früher und ich war immer schon hart.
Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie ich mich wieder zusammenkleben musste,
aus diesen ganzen Stücken mit Superkleber.
Superhartkleber, der auf bestimmte Substanzen antimagnetisch reagiert.
Die wären: Selbstsucht, Ignoranz, Unsensibilität und Lügen.

Aber wer wäre ich, hätte ich ihn nicht? Im Arsch.
Mein Kind ist gestorben.
Nicht zu fassen.

250 Kommentare zu „…“

  1. Hallo Melanie,
    ich habe auf spiegel-online gelesen, dass du ein Buch über, mit, für Nils geschrieben und gezeichnet hast. Dann habe ich deine Homepage gesucht und gefunden. Ich habe all diese Zeilen hier gelesen und weine, weine, weine. Danke für das Teilen deiner Trauer, deiner Wut, deiner Ohnmacht. Du scheinst eine sehr mutige Frau sein! In Gedanken bei dir und Nils,
    Lotte

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  2. Liebe Melanie,

    gestern um diese Zeit habe ich dein Buch aus dem Amazon-Karton befreit. Es war ein Tag, an dem ich mich ungeheuer sicher und behütet fühlte, obwohl (oder weil) gar nichts Außergewöhnliches passiert war. Ein Tag, an dem ich stark war und dennoch verletzlich. Ein Tag, an dem ich mir auf vollkommen ruhige Weise meines allerwundesten Punktes bewusst war, ohne ihn zu fürchten. Ein Tag, an dem ich schon viel gelacht hatte, viel geliebt hatte und innig geliebt worden war.

    Gestern war der perfekte Tag für die Lektüre von „Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut.“

    Ich danke dir von ganzem Herzen.
    Markus

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  3. Herz bricht beim Lesen deiner Pünktchen Seite, als ich sie das erste Mal vor ein paar Tagen nach dem Hören deines Interviews entdeckt habe. Und dann, dann die Dankbarkeit, die durch mich fließt, die ich für meine Kinder empfinde, die um mich herum gesprungen sind, die mich gestreichelt haben, als sie sahen, dass meine Tränen fließen.
    Das Unvorstellbarste, Undenkbarste musstet und müsst ihr erleben und man möchte einfach so gerne für euch zurückspulen und diese Geschichte anders ausgehen lassen. Seine Abschiedstournee zur einem immerwährenden Festival werden lassen.
    Meine Güte, was seid ihr eine tolle Familie, was bist du für eine echte und starke Frau.

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  4. Liebe Frau Garanin,
    heute morgen habe ich mit einem Ohr auf Deutschlandfunk Kultur Ihren Namen und Ihre Geschichte aufgeschnappt. Da ich gerade in einem Urlaub auf der Insel Amrum bin und es heute regnet, habe ich mich hingesetzt und Sie gegoogelt. Ich habe fast alles, glaube ich, gelesen, was ich auf Ihrer Seite gefunden habe. Ich bin sehr berührt und traurig und sehr stolz auf Sie, Ihren Mann und Ihre Kinder. Ihr offener und ehrlicher Umgang mit dem Tod Ihres Sohnes, auch Ihren Kindern gegenüber, ist bewundernswert und wird mit Sicherheit dazu führen, dass Ihre Kinder den Tod ihres Bruders gut verarbeiten können. Ich wollte ihnen ein Stück weit ihre Sorge darüber schmälern und Ihnen alles Gute wünschen. Herzlich
    Anita Ereth

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  5. Ich kenne diese Träume. Ich weiß jedoch nicht wie es ist wenn man aufwacht und das Gefühl nicht mit einem erleichterten Ausatmen den zitternden Körper verlassen darf.
    … <3

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  6. Oha, wie ehrlich, mutig und schön, diese Rückblenden. Wie unendlich erinnerungsvoll, gelbwarm und ritterstolz. Ragnagruß

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  7. Vor drei Tagen habe ich Ihr Buch gelesen und taumele seitdem wie durch einen Schleier durch die Tage. Ihr Schicksal berührt mich zutiefst. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.

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  8. Liebe Frau Garanin,

    gerne würde ich meinen gestrigen Kommentar kurz ergänzen.
    Ich habe stark daran gezweifelt, dass es mir obliegt Ihnen von einem Schleier zu berichten mit dem man durch die Tage geht.
    Ich möchte mich einfach nur für Ihr Buch bedanken. Und Ihre Offenheit und Ihren Mut Ihre Geschichte zu erzählen.
    Haben Sie vielen Dank dafür, dass wir Leser uns für eine Weile zu Ihnen auf die gelbe Bank setzen dürfen.
    Sie haben mir durch Ihre ehrliche und eindrucksvolle Schilderung einen Einblick in Ihre Trauer ermöglicht.
    Auch wenn ich wahrscheinlich nur ein kleinstes Fragment dieser greifen kann, hilft mir dieser Einblick wahrscheinlich dabei,
    die Trauer zweier Bekannter zu verstehen, die sich ebenfalls viel zu früh von ihren Kindern verabschieden mussten.
    Auch danke ich Ihnen für das Aufzeigen der Missstände in unserem Gesundheits- und Rechtssystem.
    Bald wird wieder gewählt. Hoffentlich können wir etwas ändern.

    Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie nur das Beste.

    Verena Voigt

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    1. Alles gut! Ist mir gar nicht komisch vorgekommen, von ihrem Schleier zu lesen. Verständlich!
      Mir ist sehr wohl bewusst,
      dass ich mit meinem Buch nicht nur Mut-mache (wenns gut läuft), sondern auch sehr viel zu- Mute.
      Ich freue mich über jeden Kommentar zu meinem Buch und all dem, also:
      DANKE Ihnen und liebe Grüße!

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  9. Verdammt. Über Online-Artikel aufs Buch gestoßen – klar, bei dem Titel – und jetzt hier mittendrin. Mein Sohn starb vor 7 Jahren und bist jetzt frage ich mich, wo sind meine Worte geblieben und die Linien, die sonst flossen aufs Papier. Alles scheint zu wenig oder zu viel. Mit dem Lesen dieser Einträge hier ging eine kleine Tür auf. Danke.

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