Gestern spazierte ich kurz über unser Klinikgelände.
Kurzentschlossen, einfach so, um noch einmal dort zu sein,
wo wir eine intensive, innige und – hört sich verrückt an-
schöne Zeit hatten.
Wir waren dort so eng mit Nils zusammen.
Ich habe die ersten drei Regentropfen seit Wochen unmittelbar nach Betreten der Allee abgekriegt und bin von einer riesigen Kastanie abgeschossen worden.
Habe gelächelt.
Zwei bekannte Väter getroffen, rauchend draussen unter den Bäumen.
„Na? Wie geht’s euch?“ haben sie mich gefragt.
„Er ist doch tot“, habe ich geantwortet,
und wie erstaunt sie waren.
Nicht so schockiert wie normale Menschen, denn die Eltern dort sind abgehärtet, geübt im Aufnehmen von schrecklichen Nachrichten.
Die Angst ist ihr Gefährte, ihr Leben eine Blase, ein eigener Kosmos,
der sich um ein kleines fragiles Leben dreht.
Was mich wundert, ist, dass sie nicht wussten, dass Nils gestorben ist.
Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, es ihnen gesagt zu haben.
Wie hätte ich reagiert, in der Zeit von Nils Krankheit, wenn ich von dem Tod eines unserer Mitpatienten gehört hätte?
Wäre ich zusammengebrochen, hätte noch mehr Angst gekriegt,
hätte ich das Vertrauen verloren?
Also ich nicht,
aber ich bin da vielleicht kein Maßstab.
Und wie es anderen geht, kann und sollte ich nicht beurteilen.
Man konzentriert sich aufs Gesundwerden.
Und das ist ja richtig.
Mich trifft es trotzdem, dass ein kleiner Patient dann einfach „weg“ ist.
Ist das ganz bewusst entschieden,
die toten Kinder tot zu schweigen?
Zum Schutz der Kranken?
Zur Schonung der Eltern?
Ist das üblich so?
Ich hasse Schweigen.
Ich glaube, es ist okay, den Beiden von Nils erzählt zu haben.
Die werden dadurch nicht schwächer werden oder noch verzweifelter.
Hoffentlich.
Ich weiß, Nils ist auch häufig dort,
steht (äh…schwebt) am weltbesten Tisch-Kicker
und sorgt für gute Stimmung.
Wäre doch schön, wenn es alle wüssten.